Jetzt müsst ihr endlich handeln

Interview mit den Herausgebern der MetallRente Jugendstudie 2019

Der Staat soll auch in Zukunft eine gute Rente sicherstellen … das ist die Forderung der jungen Generation, wie die aktuelle MetallRente Studie »Jugend, Vorsorge, Finanzen 2019« zeigt. Will die Politik das Vertrauen der jungen Leute nicht verspielen, muss sie auf diese Erwartung reagieren. Darin sind sich die Herausgeber der Studie – der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, der Geschäftsführer des Versorgungswerks MetallRente Heribert Karch und der Ökonom Prof. Dr. Christian Traxler – einig.

 

Was sind die zentralen Befunde der Jugendstudie 2019?

Heribert Karch:
Der Vertrauensvorschuss der jungen Leute zwischen 17 und 27 Jahren ist bald aufgebraucht. Sie fordern den Staat immer deutlicher auf, seine Aufgabe zu erfüllen und für ihre Generation Rahmenbedingungen zu schaffen, die gute Renten ermöglichen. Gleichzeitig stellt die Studie fest, dass knapp die Hälfte der Befragten für das Alter spart. Das ist viel zu wenig angesichts des bereits seit 18 Jahren laufenden Reformprozesses. Die Quote ist seit Beginn unserer Erhebungen 2010 stetig gesunken. Außerdem stößt die Sparbereitschaft auf Grenzen wie zum Beispiel bei jungen Menschen mit niedrigem Einkommen. Auch befristete Arbeitsverhältnisse oder Teilzeit- und Projektjobs erschweren es der Jugend, Vorsorge zu betreiben.

Christian Traxler:
Die MetallRente Studie 2019 zeichnet ein zwiespältiges Bild. Zum einen betont mittlerweile jeder zweite junge Erwachsene, im »Hier und Heute« zu leben. Der Anteil derjenigen, die die Altersvorsorge als Grund zum Sparen angeben, sinkt. Zum anderen scheint sehr wohl ein klares Problembewusstsein vorhanden zu sein: 85 Prozent rechnen damit, noch weit über ihr 67. Lebensjahr hinaus arbeiten zu müssen. 86 Prozent stimmen der Aussage zu, dass ohne eine eigenständige private Vorsorge künftig deutlich mehr Menschen von Altersarmut betroffen sind. 

Die Studie zeigt Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Wie interpretieren Sie diese Ergebnisse?

Klaus Hurrelmann:
Junge Frauen schneiden im Bereich der langfristigen finanziellen Vorsorge im Vergleich zu jungen Männern schlechter ab. Dieses Ergebnis lässt sich auch aus den drei vorangegangenen MetallRente Jugendstudien ablesen. Der Befund ist also über einen Zeitraum von insgesamt neun Jahren konstant geblieben. Das erstaunt, weil junge Frauen heutzutage eindeutig die besseren Schulleistungen und Bildungsabschlüsse erlangen. Sie tun sich auch – wie die Shell Studie zeigt – mit dem Aufbau von Beziehungen und der Ablösung von den Eltern leichter.

Und worin liegt der Grund für diese geringere Vorsorge der Frauen?

Klaus Hurrelmann:
Die tiefere Ursache dafür liegt in der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Viele Frauen gehen Kompromisse ein, weil sie frühzeitig die Gründung einer Familie im Blick haben. Gepaart mit ihrer geringeren Risikobereitschaft ergibt sich daraus ein langfristiges Vorsorgeverhalten, das zu Nachteilen bei der Rente führt. Unsere Studie gibt deshalb gerade für die Arbeit der Rentenkommission wichtige Hinweise.

2016 haben Sie als Herausgeber der MetallRente Studie für ein nachhaltiges System der finanziellen Vorsorge plädiert. Was ist seitdem geschehen?

Heribert Karch:
Ein wirkliches Aufbruchssignal gab es durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz 2018 …  und das nicht nur für die betriebliche Altersversorgung. Zusammen mit dem Altersvermögensgesetz stellt es die weitreichendste Reform seit der Einführung des Betriebsrentengesetzes im Jahr 1974 dar. Es verbessert die Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersversorgung und bietet damit die Chance auf einen tiefgreifenden Wandel in Deutschland.

Welche Konsequenzen sollte die Politik jetzt aus den Studienergebnissen ziehen?

Heribert Karch:
Junge Menschen sind entgegen früherer Prognosen seit Jahren die Hauptrisikogruppe der gesamten Rentenpolitik. Eine Rentenpolitik, die einerseits die gesetzliche Rente limitiert, andererseits aber individuelle Verhaltensmuster nicht in ihrem Maßnahmenkatalog berücksichtigt, wird die erforderliche Inklusion breiter Schichten nicht erzielen. Der Schritt zum Handeln führt nicht über neue Angebote, sondern über nachhaltige Inklusionsstrategien.

Klaus Hurrelmann:
Die jungen Frauen verfügen insgesamt über eine geringere »financial literacy« – also über eine geringere finanzielle Allgemeinbildung als die jungen Männer. Sie äußern abstrakt die größeren Zukunftssorgen, ziehen daraus aber noch weniger Konsequenzen als die Männer. Altersarmut ist für viele Frauen eine sehr reale Gefahr. Umso wichtiger ist es für sie, Finanzwissen zu erwerben. Deshalb ist die Einführung oder der Ausbau von Wirtschaftsunterricht in Schulen von entscheidender Bedeutung. Die Bildungseinrichtungen sollten junge Frauen und Männer also viel stärker als bisher auf das Thema des persönlichen Finanzmanagements vorbereiten. Denn diese Generation muss nicht nur die Lebensgestaltung in die eigene Hand nehmen, sondern auch die Altersvorsorge. Schließlich wird die wirtschaftliche Vollabsicherung durch den Staat geringer. Ausgerechnet darauf aber bereiten die Schulen nur unzureichend vor.

 

Kann das Sozialpartnermodell für die Jungen eine Lösung ihres Altersvorsorge-Dilemmas sein?

Heribert Karch:
Eine rein individuelle Altersvorsorge hat bei den jungen Leuten weniger Akzeptanz als kollektive Systeme. Der Weg führt also nicht über neue Angebote, sondern über eine nachhaltige institutionelle Lösung durch die Sozialpartner. Diese hätte – wie die vorliegende Studie zeigt – die höchste Erfolgsaussicht und die größte Zustimmung der jungen Generation. Die tarifvertraglichen Vereinbarungen der Sozialpartner könnten diese Aufgabe durch Mechanismen wie Langzeitorientierung, kollektive Charakteristik und nachhaltige Einbindung der Beschäftigten meistern. Außerdem würden sie relativ zügig eine durchgreifende Breitenwirkung erzielen. Das Sozialpartnermodell könnte also die Altersvorsorge entscheidend voranbringen. Davon hätten besonders die jungen Menschen Vorteile.

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Begriffserklärung:

Das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) von 2018 beinhaltet ein umfassendes Maßnahmenpaket zur weiteren Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen und gibt Beschäftigten mit geringem Einkommen einen Anreiz zur eigenen Vorsorge.

Das »Sozialpartnermodell« ist ein wichtiger Teil des Gesetzes, das eine neue Art der Betriebsrente ermöglicht. Sie verzichtet auf typische Garantien und damit auf die Haftung des Arbeitgebers. So wird die Kapitalanlage kostengünstiger und renditestärker. Die neue Sozialpartner-Rente darf nur exklusiv von den Tarifparteien für ganze Branchen vereinbart werden. Als Gewährsträger dieses neuen Rentenversprechens kommt den Tarifparteien die steuernde Rolle zu, mit kollektiver und generationengerechter Kapitalanlage für eine möglichst hohe Betriebsrente Sorge zu tragen.

 

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Interviewpartner:

Prof. Dr. Christian Traxler
Professor für Ökonomie an der Hertie School of Governance. Seine Forschungsschwerpunkte sind Fragestellungen aus der Verhaltensökonomie und der Finanzwissenschaft. Dabei evaluiert er u. a. die Wirksamkeit von Nudges und anderen alternativen Politikansätzen.

Prof. Dr. Klaus Hurrelmann
Senior Professor für Bildungs- und Gesundheitsforschung an der Hertie School of Governance in Berlin. Ein Forschungsschwerpunkt von ihm liegt in der strategischen Verbindung von Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik. Seit 2002 ist er im Leitungsteam der Shell Jugendstudien.

Heribert Karch
Als Leiter der Abteilung Tarifpolitik beim Vorstand der IG Metall war er maßgeblich am Gründungsprozess des Versorgungswerks MetallRente beteiligt und ist seit 2001 Geschäftsführer dieser gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien Gesamtmetall und IG Metall.