Unterstützung braucht viele Hände und einen ersten Schritt
Ein Gespräch mit den Herausgebenden
Die Altersvorsorge scheint sich auf der Agenda der jungen Menschen nach oben gespielt zu haben. Mehr als die Hälfte beschäftigt sich aktiv mit diesem Thema. Wie sehen Sie diese Entwicklung, Herr Müllerleile?
Hansjörg Müllerleile:
Im Grunde ist die Notwendigkeit zusätzlicher Altersvorsorge im Dreisäulenmodell aus gesetzlicher Rente, der betrieblichen Altersversorgung (bAV) und der privaten Altersvorsorge bereits seit 2001 ein politischer Konsens, was die Absicherung des Lebensstandards im Alter betrifft. So ist es zwar gut, dass die zusätzliche Altersvorsorge auch bei jungen Menschen zunehmend ins Bewusstsein rückt, doch fast die Hälfte hat diese eben noch nicht.
Kerstin Schminke:
Stimmt, und das finde ich besorgniserregend. Es zeigt sich, dass dieser Konsens zwar in der politischen Debatte stattfindet, aber in der Gesellschaft nicht wirklich angekommen ist.
Hansjörg Müllerleile:
Dabei war die gesetzliche Rentenreform von 2001 im Grunde genial. Ein cleveres System aus Fördermechanismen, das nur leider keiner versteht. Es schließt Menschen aus, die nicht den gleichen ingenieursgenialitätsgetriebenen Zugang zu Finanzthemen und zur Altersvorsorge haben.
Carmela Aprea:
Ein wichtiger Punkt. Bei einem Produkt, das keiner versteht, stößt Finanzbildung, die zweifelsohne Luft nach oben hat, an ihre Grenzen.
Was empfehlen Sie konkret in Richtung Finanzbildung, Frau Professor Aprea?
Carmela Aprea:
Wenn wir das Thema Finanzbildung angehen, dann ist es wichtig, ihren Machbarkeitsraum zu bestimmen. Gute Finanzbildung kann ein wichtiger Faktor sein, vor allem für Menschen, die aus weniger privilegierten Elternhäusern stammen. Aber allein kann es Finanzbildung auch nicht richten. Wir brauchen ein Zusammenspiel aller Beteiligten: ein gutes und verständliches Finanzproduktdesign, sinnvolle Regulatorik und eben effektive Finanzbildung. Und wenn ich von Finanzbildung spreche, dann denke ich nicht an Lehrbuchwissen, sondern daran, den jungen Menschen eine grundlegende Kompetenz zu vermitteln, um Entscheidungen treffen zu können.
Können staatliche Plattformen hier eine Orientierung geben, Frau Schminke?
Kerstin Schminke:
Bisher begrenzt. Die jungen Menschen sind in einem Dilemma. Das Vertrauen in die Rentenpolitik und somit die deutsche Rentenversicherung ist erschüttert. Das ist sicherlich auch der Kommunikation geschuldet. So finden unabhängige staatliche Lernplattformen kaum Beachtung. Junge Menschen sind verunsichert und suchen Orientierung. Aber diese finden sie nicht mehr dort, wo frühere Generationen sie hatten.


"Es geht darum, die jungen Menschen Schritt für Schritt bestmöglich zu unterstützen."
Kerstin Schminke
Die Studie zeigt einen starken Wunsch nach ETF-Sparen. Dort scheinen junge Menschen Halt zu finden. Wie blicken Sie auf diesen Trend, Professor Traxler?
Christian Traxler:
Vor kurzem, beim Spazierengehen hier in Berlin, hörte ich ein Gespräch zweier Jugendlicher, wobei der eine dem anderen mit großer Begeisterung ETFs erklärte. Er hatte sich Youtube Tutorials angeschaut, und klar, da war auch viel Werbung in seinen Ausführungen, aber offensichtlich ist da eine Art und Weise gefunden worden, diese Zielgruppe stärker anzusprechen. Dazu kommen Trading Apps, die eine einfachere Zugänglichkeit und etwas Gamification bieten. Auch das spricht junge Menschen erfolgreich an.
Carmela Aprea:
ETFs scheinen marketingtechnisch wirklich gut zu funktionieren. Interessanterweise ist hier oft von Aktiensparen die Rede. Ein ziemlich guter Marketing-Trick der Finanzdienstleister in einem Land, das für German Angst bekannt ist und sich üblicherweise risikoscheu gibt. Aktien sind aber genau genommen kein Sparen, sondern ein Investment mit Chancen und Risiken. Gerade beim Investmentwissen zeigen sich in unserer Studie bei jungen Menschen deutliche Wissenslücken. Hier sind inhaltlich fundierte und unabhängige Finanzbildungsangebote dringend nötig.


“Aktien sind aber genau genommen kein Sparen, sondern ein Investment mit Chancen und Risiken.”
Carmela Aprea
Spricht das für eine größere staatliche Hand in der privaten Altersvorsorge?
Christian Traxler:
Der Markt für private Altersvorsorge würde von einer höheren Standardisierung profitieren. Ein günstiges, standardisiertes Produkt, mit unterschiedlichen Risiko-Abstufungen würde vieles verändern und den Einstieg in die private Altersvorsoge erleichtern.
Carmela Aprea:
Wenn wir in diese Richtung denken, wäre eine ganz wichtige Stellschraube, das Vertrauen der jungen Menschen wieder zu gewinnen. Diese gehen eben sehr pragmatisch und aktiv mit der gefühlten Lücke um. Nach dem Motto: Gut, wenn die nichts machen, dann tue ich was. Für mich gut nachvollziehbar und ein sehr sympathischer Zug dieser Jugend. Aber wir sehen in den Daten auch viel Angst mitschwingen. Angst ist aber selten ein guter Ratgeber. Um hier zu unterstützen, hilft keine oberlehrerhafte Haltung. Es braucht eine Finanzbildung, die junge Menschen dazu befähigt, das Ineinandergreifen der verschiedenen Systembestandteile im Grundsatz zu verstehen und zu wissen, wo sie sich unabhängige Information und Beratung holen können. Das gelingt nur mit guten Finanzbildungsangeboten. Und wenn man mit den jungen Menschen in einen ehrlichen Dialog tritt, statt über sie zu reden.


“Der Markt für private Altersvorsorge würde von einer höheren Standardisierung profitieren.”
Christian Traxler
Das klingt nach einem großen Berg Arbeit am System. Wo fangen wir an?
Hansjörg Müllerleile:
Ja, es ist eine Arbeit am System, ein Zusammengehen von Arbeitgebern, Sozialpartnern und Gesetzgebern. Und doch lassen sich konkrete Schritte gehen. Wenn ich an die betriebliche Altersversorgung denke, beispielsweise. Dass der Trend in Richtung ETFs geschlechterübergreifend und bundesweit so kraftvoll ist, ist für mich ein wahnsinnig interessanter Punkt, aus dem wir für die betriebliche Altersversorgung lernen können.
Nämlich?
Hansjörg Müllerleile:
Aus der Sicht junger Menschen wird das Thema Vertrauen offenbar durch digitale Verfügbarkeit, Transparenz und das Gefühl von Kontrolle gespeist. Diese Lernpunkte versuche ich auf unsere Produkte, insbesondere die bAV, zu adaptieren. Sie bleibt für zu viele junge Menschen im unklaren Bereich. Dabei bietet sie alles, was junge Menschen wichtig finden und mehr. Moderne Zusageformen und Kommunikationsmethoden könnten Dinge vereinfachen und jungen Menschen eine Lösung bieten – für ein echtes Sparen, mit den wichtigen Größen: Lebenslange Rente, Rendite und Sicherheit. Und das ist eigentlich flott gemacht.
Kerstin Schminke:
Genau dies ist unser Job als MetallRente. Wir sind ein Versorgungswerk. Und wenn wir uns mit Akteur*innen im gesellschaftlichen und politischen Bereich verbünden, können wir junge Menschen konkret unterstützen. So dass beispielsweise in der Schulbildung die Finanzbildung eine größere Rolle spielt oder unabhängige Informationsplattformen geschaffen werden. Sicher, es gibt einiges zu tun. Aber jeder erste Schritt zählt. Es geht nicht darum, alle Probleme und Hindernisse auf einmal zu lösen, sondern es geht darum, die jungen Menschen Schritt für Schritt bestmöglich zu unterstützen.


“Moderne Zusageformen und Kommunikationsmethoden könnten Dinge vereinfachen und jungen Menschen eine Lösung bieten.”
Hansjörg Müllerleile